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Chancen für ein selbstbestimmtes Leben
von Christine Reith
Bürgerinnen und Bürger tun sich zusammen, um Menschen mit Behinderungen ein besseres Leben zu ermöglichen: Genau das ist vor 25 Jahren in Fulda passiert. Heute blickt die St. Antonius-Stiftung als Förderstiftung von antonius auf neun Projekte zurück, die nachhaltig Perspektiven für alle Menschen eröffnen. Davon profitiert auch Jonas Golon: Der 22-Jährige mit Lernbeeinträchtigungen kam als Jugendlicher zu antonius und wurde dort so intensiv begleitet, dass er heute bei einem externen Bio-Hof eine Ausbildung absolviert. Eine Erfolgsgeschichte, an der mehrere Stiftungsprojekte mitgewirkt haben.
Blonde lange Locken, fröhliche Augen und ein breites Lächeln: Jonas Golon ist ein echter Strahlemann – vor allem, wenn er auf einer schweren Landmaschine sitzt. „Ich bin schon als Kind mit den Bauern im Dorf Traktor gefahren“, erzählt der junge Mann, „das ist einfach meine Leidenschaft.“ Und so war es vielleicht Fügung, dass seine allererste Begegnung mit dem großen Netzwerk von antonius 2016 bei einem Tag der offenen Tür am antonius Hof stattfand.
Der damals 15-Jährige hatte gerade die Förderschule nahe seiner Heimat in Heringen an der Werra abgeschlossen und war auf der Suche nach einer neuen schulischen und beruflichen Perspektive. Zusammen mit seinen Eltern entschied er sich nach dem Tag der offenen Tür für die Startbahn, die Arbeitsschule von antonius. Hier können Jugendliche ihre persönlichen Stärken und beruflichen Interessen erkunden, praktische Erfahrungen sammeln und Kompetenzen erwerben, die ihnen den Start in die Arbeitswelt und damit in ein selbstbestimmtes Leben erleichtern.
Vielfältige und individuelle Förderung
Nach dem Reinschnuppern in verschiedene Berufsfelder fiel Jonas Golons Wahl – natürlich! – auf den Bereich „Garten und Landwirtschaft“. Etwa zeitgleich zieht er in das Kinderhaus im antonius Quartier, das im Rahmen des allerersten Stiftungsprojekts der St. Antonius-Stiftung entstanden ist. Hier leben 27 Kinder und Jugendliche in einem familiären Umfeld zusammen, in dem die Persönlichkeit jedes Einzelnen gestärkt wird. Parallel gefördert wird Jonas Golon auch im Zentrum für Beratung, Frühförderung und Therapie von antonius, dem Zitronenfalter. Das Gebäude des Kinderhauses wurde 1998 und das des Zitronenfalters 2003 durch Spendengelder der St. Antonius-Stiftung mitfinanziert.
Drei Jahre lang besucht Jonas Golon die Arbeitsschule Startbahn. In seinem Wahlfeld „Grüner Bereich“ erwirbt er erste Fachkenntnisse, trainiert Basiskompetenzen, macht Betriebspraktika und wird mit viel professioneller Unterstützung auf seinen nächsten Schritt beim sogenannten Berufswegekonzept vorbereitet: Die zweijährige Ausbildung zum Landwirtschaftshelfer, die Jonas Golon aktuell absolviert – und zwar am antonius Hof und in einem externen Partnerbetrieb, dem Bio-Hof von Volker Goldbach in Dipperz. Hier ist er seit 2021 wertvoller Bestandteil des Familienbetriebes mit 55 Hektar Land und 110 Milchkühen.
„Unser großes Ziel ist, dass Menschen mit Behinderungen einen vollwertigen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – also außerhalb einer Behindertenwerkstatt oder einem speziellen Inklusionsbetrieb – finden und sich dort mit ihren ganz eigenen Fähigkeiten und Talenten einbringen können. Deswegen freuen wir uns sehr, dass die Ausbildung von Herrn Golon bei Familie Goldbach so erfolgreich verläuft und nach deren Ende eine Chance auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung besteht“, sagt Martha Nuhn, als Mitglied vom antonius Führungsteam verantwortlich für die Bereiche Landwirtschaft und Gärtnerei.
„Ich meistere fast alles alleine“
Jonas Golon jedenfalls fühlt sich rundum wohl bei den Goldbachs: „Das hat vom ersten Moment an gut gepasst. Wir betreiben jetzt den kompletten Hof mit nur drei Personen und ich leiste dazu einen wesentlichen Teil. Ich mag vor allem die Arbeit mit den großen Maschinen, zum Beispiel dem Heuwender, und die Arbeit mit den Tieren.“ Um schneller beim Hof zu sein, ist der Landwirt in spe jetzt nach Dipperz gezogen – nach mehreren Jahren im Betreuten Wohnen sogar in eine eigene Wohnung. „Ich habe ein kleines Microcar und einen E-Roller, mit dem ich eigenständig zur Arbeit fahre. Ich meistere also fast alles alleine.“
Unterstützung erhält der Azubi noch beim Lernen. Denn statt einer Vollausbildung absolviert er eine theoriereduzierte Ausbildung, bei der Assistenzkräfte die Auszubildenden im Betrieb und in der Berufsschule individuell begleiten. Schwierige Lernaufgaben werden so weit heruntergebrochen, dass diese trotz Lernschwierigkeiten bewältigt werden können. Zusätzlich bietet antonius Nachhilfe an und hat sich zusammen mit der Fahrschule Weber und dem Ehrenamtler Peter Trapp darum gekümmert, dass Jonas Golon den Traktorführerschein erwerben kann.
„Die Entwicklung von Jonas Golon zeigt, dass der junge Mann in den entscheidenden Momenten in seinem Leben sehr gut unterstützt wurde und so seine Fähigkeiten und Leidenschaften – zum Beispiel für die Arbeit in der Natur, mit den Tieren und Maschinen – optimal ausbauen konnte. Auch durch das Engagement der St. Antonius-Stiftung kann er heute ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen und hat gute Perspektiven für seine Zukunft“, sagt Gerhard Möller, Vorstandsvorsitzender der St. Antonius-Stiftung, die sich seit 1998 mit insgesamt neun Modellprojekten für die Menschen bei antonius einsetzt. Das aktuelle Projekt „er:wachsen“ möchte ein barrierefreies Gewächshaus in Haimbach realisieren, um Arbeitsplätze im Gartenbau für Menschen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf anzubieten.
Patronatsfest mit Jubiläumsfeier
Gefeiert wird das 25-jährige Jubiläum der St. Antonius-Stiftung am Sonntag, 18. Juni 2023, beim Patronatsfest zu Ehren des Heiligen Antonius – dem jährlichen Sommerfest von antonius. Die diesjährige Feier beginnt um 10 Uhr mit einem Gottesdienst auf dem Hauptgelände von antonius (An St. Kathrin 4, 36041 Fulda). Der antonius Chor und die Big Band des Domgymnasiums übernehmen die musikalische Gestaltung. Von 12 bis 16 Uhr sind verschiedene Stände mit Mitmachaktionen auch für Kinder geöffnet. Livemusik und Auftritte, zum Beispiel vom ambinius Chor und der antonius Showtanzgruppe, bereichern das Fest. Wie immer bei antonius gibt es leckere regionale Speisen und Getränke möglichst aus eigener Produktion. Herzlich eingeladen zum Patronatsfest sind alle, die sich antonius verbunden fühlen oder das Netzwerk kennenlernen möchten.
Die Leuchtturmprojekte der St. Antonius-Stiftung
Dank des großen bürgerschaftlichen Engagements konnte die St. Antonius-Stiftung in den vergangenen 25 Jahren bereits neun Projekte initiieren – und damit wichtige Impulse für bessere Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen geben. Die ersten drei Projekte förderten den Bau des „Kinderhauses“ im antonius Quartier, den Neubau für das „Goretti-Haus“ mit eigenständigen Wohnmöglichkeiten für zwölf Jugendliche und den „Zitronenfalter“, das Zentrum für Beratung, Frühförderung und Therapie von antonius. Nach dem Einsatz für den Umbau des Haupthauses unter dem Projekttitel „LebensBaum“ widmete sich die Stiftung 2009 bis 2014 dem Aufbau der Arbeitsschule „Startbahn“ und dem schulnahen Wohnangebot „Startbahn… und weiter geht’s“. Viel Aufmerksamkeit zog auch das generationenübergreifende Projekt „ambinius“ auf sich, das eine Kita und eine Tagesstätte für Seniorinnen und Senioren unter einem Dach umfasst, sowie das Stiftungsprojekt „Zukunft Frauenberg“ zum Erhalt des Fuldaer Klosters. Seit 2021 dreht sich alles um „er:wachsen“, für das die Stiftung mit einem großen Entenrennen auf der Fulda am 15. Juli 2023 weitere Spenden sammelt. Insgesamt hat die St. Antonius-Stiftung in 25 Jahren rund zwei Millionen Euro Spenden zusammengetragen – beispielsweise durch Privat- und Firmenspenden, Veranstaltungen oder Spendenaktionen wie dem Verkauf des Frohnatur-Bieres und -Radlers.
Fotos von Jonas Golon: Arnulf Müller
Foto Patronatsfest: Marzena Seidel