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Ein Gewächshaus für alle
Jeder Mensch hat Fähigkeiten und das Recht auf einen sinnstiftenden Arbeitsplatz, an dem sich diese Fähigkeiten entfalten können. Unter diesem Grundsatz plant antonius in Haimbach ein neues Bio-Gewächshaus, das Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam bewirtschaften – darunter auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf und komplexen Behinderungen, die sonst keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Entstehen soll ein Leuchtturmprojekt für einen echten inklusiven Arbeitsmarkt. Die St. Antonius-Stiftung unterstützt das Vorhaben mit ihrem Projekt „er:wachsen“.
Die Erde spüren, etwas wachsen sehen, im Jahreszyklus arbeiten: Der Gartenbau und die Landwirtschaft gelten als wertvolle Arbeitsorte für Menschen mit Behinderungen. Die Möglichkeiten, sich hier einzubringen, weiterzuentwickeln und mehr Verantwortung zu übernehmen, sind vielfältig. antonius geht einen Schritt weiter und entwickelt seinen grünen Bereich zu einem echten inklusiven Arbeitsmarkt: Mit sinnstiftenden Arbeitsplätzen für alle Menschen – auch ohne oder mit komplexen Behinderungen – und einem Fokus auf die Arbeit und weniger auf die pädagogische Begleitung oder Rehabilitation. Am antonius Hof in Haimbach entsteht dazu ein großes Gewächshaus, in dem Gemüse und Kräuter nach wirtschaftlichen Grundsätzen und Bio-Richtlinien angebaut und für den Verkauf weiterverarbeitet werden.
„Der Gemüseanbau eignet sich nach unseren Erfahrungen sehr gut für Menschen mit komplexeren Behinderungsbildern – sie profitieren von der Weitläufigkeit, der Gemeinschaft und der körperlichen Arbeit, die alle Sinne anspricht“, sagt Martha Nuhn, Mitglied des antonius Führungsteams und zuständig für Landwirtschaft und Gärtnerei. „Es besteht ein großes Interesse an diesem Arbeitsbereich, zugleich haben wir hier unsere Kapazitätsgrenzen erreicht und die vorhandenen Gewächshausgebäude sind technisch abgewirtschaftet und energetisch ineffizient. Das alles macht den Bau eines neuen Gewächshauses notwendig, das mit regenerativen Energien betrieben werden soll.“
Inbetriebnahme für 2025 geplant
Der Bauplatz für das neue Gewächshaus befindet sich an der Wegastraße, der Landstraße, am Ortsausgang von Haimbach in Richtung Westring auf der rechten Seite. Die Planungen für das neue Gewächshaus zusammen mit dem international tätigen Planungsbüro Looije Agro Technics, das auf Gewächshäuser spezialisiert ist, sind fast abgeschlossen. Aktuell starten die Gespräche mit den Behörden, um bis Ende dieses Jahres den Bauantrag fertigzustellen. „Wenn alles gut läuft, können wir 2024 mit dem Bau beginnen und im Herbst 2025 das Gebäude in Betrieb nehmen“, sagt Geschäftsführerin Martha Nuhn. Geplant ist ein Unter-Glas-Produktionsbereich mit rund einem halben Hektar Fläche – darunter auch ein Areal für das Anziehen von Jungpflanzen – sowie einem Verarbeitungsbereich, in dem die Erzeugnisse für den Handel oder die interne Weiterverarbeitung sortiert, gewaschen und verpackt werden. Rund um das Gewächshaus entstehen zusätzliche Freilandflächen und Außenanlagen mit einer Größe von etwa zwei Hektar. Genutzt wird regenerative Energie durch ein Zusammenspiel aus Biomasseheizung, Sonnenenergie für die Stromproduktion und nachhaltiger Wassernutzung.
Die Gesamtkosten für das Gewächshaus belaufen sich gemäß aktueller Kostenschätzung auf rund sieben Millionen Euro. Die staatlichen Förderungen über den Landeswohlfahrtsverband Hessen, das Hessische Ministerium für Soziales und Integration sowie die Agrarförderung belaufen sich auf 1.460.000 Euro. Die Förderung für den Bereich Energie ist noch in Klärung, ein Darlehen des Hessischen Investitionsfond über 3.500.000 Euro ist gesichert. Die St. Antonius-Stiftung hat eine Unterstützung mit 500.000 Euro anvisiert und sammelt derzeit mit verschiedensten Aktionen Spenden für ihr Projekt „er:wachsen“. Ziel ist es, Menschen mit hohem Hilfebedarf, die aktuellen noch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen und ihre Talente zu fördern. Es bleibt bislang eine Finanzierungslücke von 1.540.000 Euro.
Geschmack statt Masse
Im neuen Gewächshaus auf dem antonius Hof wird Bio-Gemüse angebaut: Gurken, Tomaten, Paprika, Auberginen, Ingwer, Chili sowie Physalis und Kräuter. Im Mittelpunkt stehen Sorten, die besonders gut im Geschmack sind, auch wenn sie möglicherweise weniger Ertrag erzielen. Die Erzeugnisse verkauft antonius als Rohware über den Lebensmitteleinzelhandel – etwa zusammen mit bewährten Partnern wie Tegut, Alnatura oder Wehner Groma. Ein Teil wird auch in den netzwerkinternen Betrieben weiterverarbeitet, zum Beispiel in der antonius Küche oder am Hof oder im antonius Laden verkauft.
„In den vergangenen Monaten haben wir viele andere Gewächshäuser in ganz Deutschland besucht und dort beobachtet, dass viel Gemüse auf dem Kompost landet – zum Beispiel, weil die Nachfrage nach Tomaten in den Sommerferien zurückgeht. Das ist bei uns anders, weil wir das Gemüse gleich weiterverarbeiten können, etwa zu Chutneys, oder Schalabfälle als Tierfutter verwenden. Diese Kreislaufwirtschaft macht uns besonders nachhaltig“, betont Martha Nuhn. In Kooperation mit dem Fachbereich Lebensmitteltechnologie der Hochschule Fulda entwickelt antonius aktuell weitere Produkte, deren Rohstoffe im neuen Gewächshaus angebaut werden können.
Gartenbau schon immer Teil von antonius
Schon zur Gründung von antonius vor 120 Jahren durch die Bürgerin Maria Rang spielte der Gemüseanbau eine bedeutende Rolle. Damals galt es, die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner zu sichern, später kamen der Verkauf und die Verarbeitung hinzu. Heute versteht sich antonius als Impulsgeber für eine soziale Landwirtschaft, möchte den Menschen der Region gute Bio-Lebensmittel anbieten und vor allem wertvolle Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen schaffen. Martha Nuhn sagt: „Im Garten und in der Landwirtschaft gelingt es besonders gut, Arbeitsschritte so herunterzubrechen, dass viele Menschen sie erledigen können. Im neuen Gewächshaus wird es auch komplexe Aufgaben geben, die eher ein ausgebildeter Gärtner übernimmt. Doch für die vielen anderen Arbeiten – zum Beispiel das Jäten, Abdrehen von Blattgrün oder Ausgeizen von Tomaten – kommen viele Menschen in Frage. Anders als in anderen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung fragen wir nicht, welche Beschäftigung eine einzelne Person braucht, sondern wir denken von der Arbeit her und fragen: Wer kann diese oder jene Aufgabe gut übernehmen, und wir geben dann entsprechend Unterstützung. Dazu wird es eine Pilotphase geben und im Idealfall können wir dieses Konzept auf andere Betriebe und Bereiche übertragen. Wir wollen zeigen und erforschen, wie inklusives Arbeiten gelingen kann und damit die Inklusion am Arbeitsmarkt voranbringen.“