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Ein gutes Leben – auch mit Trisomie 21

Wird unser Kind gesund zur Welt kommen? Diese Frage beschäftigt viele Eltern während der Schwangerschaft. Seit dem vergangenen Jahr bezahlen Krankenkassen pränatale Bluttests, mit denen sich Gen-Defekte frühzeitig feststellen lassen. Die Folge: Es werden deutlich weniger Babys mit Trisomie 21 geboren, viele werden abgetrieben. Dabei können Menschen mit dem sogenannten Down-Syndrom ein gutes Leben führen, wie auch die Geschichte von Melody Buzoku aus Fulda zeigt. Die heute Achtjährige wurde gemeinsam mit ihrer Familie im Frühförderzentrum Zitronenfalter von antonius intensiv betreut und begleitet. Heute geht sie zur Schule und bringt viel Freude in das Familienleben. Einblicke zum heutigen Welt-Down-Syndrom-Tag.

Keine Frage: Die Diagnose Trisomie 21 – auch Down-Syndrom genannt – war für Familie Buzoku aus Fulda ein Schlag. Lorena Buzoku war in der 38. Schwangerschaftswoche, als sie von einem schweren Herzfehler ihrer ungeborenen Tochter erfährt. „Der Arzt sagte, der Herzfehler deute auf das Down-Syndrom hin. Dann war erstmal Stille“, erinnert sich die junge Mutter. Die Verdachtsdiagnose trifft sie und ihren Mann Agron so kurz vor der Geburt völlig aus dem Nichts und bestätigt sich, als Melody am 12. Juni 2015 auf die Welt kommt: Das kleine Mädchen hat tatsächlich das Down-Syndrom.

In der Zeit der Diagnose und Geburt kommen viele Herausforderungen zusammen: Wegen eines Herzfehlers soll Melody in einer Spezialklinik entbunden und umgehend operiert werden, gleichzeitig gibt es einen eineinhalbjährigen Bruder, der betreut werden muss. Die Ehe kriselt, auch weil die Ehepartner die Nachricht über die Behinderung erstmal jeder für sich selbst verarbeiten mussten und die Unsicherheit groß war. „Die Hebamme fragte mich, ob ich Melody haben wolle, bevor sie an die Maschinen muss. Aber ich wollte dieses Kind erstmal nicht“, sagt Lorena Buzoku ganz offen.

Im Zweifel dagegen: Die meisten Eltern entscheiden sich gegen ein Kind mit Down-Syndrom

Beim Down-Syndrom handelt es sich um eine genetische Veränderung im „Bauplan“ unserer Zellen: Das Chromosom 21 ist dreifach statt zweifach vorhanden, wodurch sich die Chromosomenzahl der Körperzellen von 46 auf 47 erhöht. Statistisch gesehen kommt es auf 800 Geburten je einmal vor. Bei Müttern über 35 Jahren steigt das Risiko. Wie sich die genetische Grundausstattung auf die Entwicklung des jeweiligen Menschen auswirkt, ist völlig unterschiedlich. Menschen mit Down-Syndrom können geistig und körperlich schwer behindert sein. Einige kommen mit geschädigten Organen – etwa einem Herzfehler – auf die Welt. Andere sind körperlich gesund und durchschnittlich intelligent.

Fakt ist, dass die Geburtenrate von Kindern mit Down-Syndrom in Deutschland rückläufig ist. Seit 2012 sind in Deutschland Bluttests für Schwangere zugelassen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit erkennen können, ob das Kind zum Beispiel Trisomie 21 hat. Anders als bei früheren risikoreichen Fruchtwasser-Untersuchungen sind dafür nur ein paar Tropfen Blut nötig. Seit Mai 2022 können diese nichtinvasiven pränatalen Bluttests als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden.

Wie genau sich das Wissen um den Gen-Defekt auf die Geburtenrate von Kindern mit Trisomie 21 auswirkt, wird nicht genau erfasst. Laut Spiegel Online gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass neun von zehn Schwangeren in Deutschland bei einer Trisomie 21 einen Abbruch vornehmen lassen. Das deckt sich mit den Zahlen unserer Nachbarländer. Bei allen, die sich für eine inklusivere Gesellschaft einsetzen, wächst nun die Sorge, dass die so leicht verfügbare Pränataldiagnostik die Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen verstärken könnte. Werden Menschen mit Beeinträchtigungen künftig als „vermeidbar“ und nicht willkommen bewertet?

Therapiezentrum Zitronenfalter kann Sorgen nehmen

Die Eltern von Melody haben das im Ansatz schon so erlebt. Freunde und Familie wünschten ihnen „unser Beileid“ zur Geburt – dabei war niemand gestorben, sondern ein kleines Mädchen mit Down-Syndrom geboren. Als Melody sechs Wochen alt war und ihr schwerer Start ins Leben die Familie mehr und mehr belastete, wendete sich das Ehepaar Buzoku an den Zitronenfalter, das Zentrum für Beratung, Frühförderung und Therapie für Kinder mit Behinderungen von antonius. „Ich kann mich noch sehr gut an die erste Begegnung mit Familie Buzoku erinnern“, erzählt Frühförderin Susanne Schulte-Hoffmann. „Auf meine Frage, wie wir ihnen helfen könnten, sagten sie mir: ‚Unsere Ehe geht kaputt.‘ Wir kennen dieses Phänomen. Die Diagnose Down-Syndrom ist für jedes Elternpaar eine Extremsituation, die Spuren hinterlässt. Deshalb ist die Elternhilfe ein ganz zentraler Aspekt unserer Arbeit.“

Während Melody durch Physiotherapie – später auch Ergotherapie und Logopädie – intensiv gefördert wird, widmete sich das interdisziplinäre Team des Zitronenfalters auch den Eltern und bot ihnen umfassende Gespräche und Beratung an. „Ohne die Hilfe im Zitronenfalter wäre unsere Beziehung jetzt kaputt“, sagt Lorena Buzoku. Das Paar lernt, mit den Herausforderungen konstruktiv umzugehen, gleichzeitig durchläuft Melody im Laufe der Jahre eine sehr gute Entwicklung. Heute besucht sie die Pestalozzischule, ist ein starkes, selbstbewusstes Mädchen und für ihre mittlerweile zwei Brüder eine tolle Schwester.

„Während wir anfangs gar keine Bindung hatten, ist es heute das Gegenteil. Melody ist mein Herz, meine Seele“, sagt die junge Mutter. „Hätte ich früher von der Diagnose gewusst, hätte ich abgetrieben. Denn ich dachte beim Down-Syndrom immer, dass mein Leben in den Hintergrund gerät. Ich hatte Bilder in meinem Kopf und habe mich gefragt: Kann ich das Kind überhaupt lieben? Heute bin ich glücklich.“ Lorena Buzoku betont, wie wichtig ihr ihre Berufstätigkeit ist – 30 Stunden pro Woche arbeitet sie. Viele Menschen würden davon ausgehen, dass man mit einem behinderten Kind nicht arbeiten könne, was aus ihrer Sicht nicht stimme. „Ich persönlich möchte meinen Beitrag leisten und nicht auf meine Tochter reduziert werden“, sagt sie. Ihr Mann Agron ergänzt: „Ich möchte anderen Eltern sagen: Wenn Ihr die Diagnose bekommt, nehmt Euch Zeit für Eure Entscheidung. Trefft sie nicht übereilt. Mit der Unterstützung aus dem Zitronenfalter haben wir es als Paar und als Familie geschafft.“

Welt-Down-Syndrom-Tag
Der Welt-Down-Syndrom-Tag findet jedes Jahr am 21.3. statt. Das Datum spielt darauf an, dass bei Menschen mit Down-Syndrom das Chromosom 21 drei- statt zweifach vorhanden ist. Den internationalen Aktionstag gibt es seit 2006, seit 2012 ist er von den Vereinten Nationen anerkannt. Ziel ist es, zum Thema Down-Syndrom aufzuklären und Inklusion zu fördern.

Lesetipp: Im antonius Blog finden Sie einen ausführlichen Bericht über Melody von Stefanie Vey und einen Kommentar von Dr. Arnulf Müller zum Thema Trisomie-Tests. Auf der Website von antonius gibt’s alle Informationen zum Zitronenfalter.

Alle Fotos sind Privataufnahmen der Familie Buzoku.

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