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Ganz großes Kino für alle
von Christine Reith
Kultur nicht nur genießen, sondern auch selbst anbieten und gestalten: Das ist das Motto beim Projekt „Kino kann noch mehr!“, bei dem Ehrenamtliche mit und ohne Behinderung bei antonius monatlich einen besonderen Film zeigen – in Eigenregie, von der Werbung übers Popcorn bis zur Technik.
Konzentriert läuft Sergej Stintmann durch die Festscheune von antonius. Der junge Mann prüft den Sound der komplexen Musikanlage, damit Musik und Ton beim anstehenden Film perfekt passen. Sergej Stintmann gehört zum partizipativen Projekt „Kino kann noch mehr!“, bei dem Menschen – die bei antonius leben, arbeiten und auch im Wohnrat engagiert sind – zusammen mit anderen Filmfans jeden ersten Samstag im Monat einen Kinoabend veranstalten. Sie zeigen Filme mit einem besonderen Anspruch und abseits des üblichen Mainstreams. Das Angebot ist öffentlich und richtet sich an alle Bürgerinnen und Bürger. Möglich macht das eine Kooperation mit der Kinoinitiative „Kino35“, die die Filmausleihe abwickelt.
Die Auswahl der Filme erfolgt nach dem Mehrheitsprinzip: Alle drei Monate haben die Kinobesucher und -besucherinnen die Möglichkeit, mit über das Programm der nächsten Spielzeit zu entscheiden. Das Projektteam trifft hierfür eine Vorauswahl an Filmen, die gut verständlich sind, auf übermäßige Gewalt verzichten und oft auch gesellschaftliche Vielfalt thematisieren. Im Anschluss findet ein öffentliches Auswahltreffen in der Festscheune statt, bei dem die Teilnehmenden sich gemeinsam zehn Trailer ansehen, diese bewerten und vier davon per Abstimmung auswählen.
„Teilgabe statt reiner Teilhabe“
Inklusionsnetzwerkerin Susann Kuppardt erklärt, was dahintersteht: „antonius setzt sich für eine Welt ein, in der Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben und diese auch aktiv mitgestalten. Bezogen auf das Kinoprojekt bedeutet das, dass Menschen mit Behinderungen nicht länger nur als Gäste von Kulturangeboten mitbedacht, sondern auch als aktive Mitgestalter unserer Gesellschaft wahrgenommen und respektiert werden, die mit ihren Ideen, Erfahrungen und Fähigkeiten die Lebensqualität in der Nachbarschaft bereichern können. Teilgabe statt reiner Teilhabe nennen wir das. Hierdurch entstehen neue Räume, in den sich Menschen mit unterschiedlichen Lebensperspektiven begegnen und in dem jede und jeder die eigenen Sichtweisen und Fähigkeiten neu erfahren, ausbauen und in der eigenen Persönlichkeit wachsen kann.“
Sergej Stintmann, der Mann von der Technik, jedenfalls hat hier schon richtig viel gelernt. Als Autodidakt hat er sich alles Technische rund ums Kinomachen selbst beigebracht und verantwortet Audioanlage, Beamer, I-Pad und Schnitt bei den Aufführungen komplett alleine. Beflügelt durch diese Erfahrung ist sich der junge Mann sicher, dass er auch seine Ausbildung beim Elektrounternehmen Gensler in Poppenhausen gut absolvieren wird. „Technik ist einfach mein Ding. Es wird schwierig fürs Kino, wenn ich Urlaub mache – da muss ich eine Vertretung finden und der alles genau erklären“, sagt Sergej Stintmann.
Auch bei seinen Kino-Kollegen geht mittlerweile alles Hand in Hand: Kerstin Will, Annika Geisler und Louise Leichner managen die Eintrittskasse, Moni Breitkopf und Willi Breitkopf sind für die Getränkeausgabe zuständig und Leonie Weber, Hildegard Leiter und Gundi Kirchner haben sich inzwischen zu Meisterinnen der Popcornzubereitung entwickelt. Weitere Helferinnen und Helfer unterstützten bei den Vorbereitungen, verteilen etwa im Vorfeld die Plakate und Flyer oder sind für Auf- und Abbau der Stühle zuständig.
„Das Projekt gibt Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, eine Veranstaltung nach ihren Vorstellungen zu planen und zu organisieren und sich damit gleichwertig zu erleben“, sagt Susann Kuppardt. „Sie lernen dabei auch, Verantwortung für ihr Handeln in einem Team zu übernehmen sowie Meinungsverschiedenheiten, Fehler und kleine Misserfolge auszuhalten. Das sind wichtige Erfahrungen, um ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln.“
Ein Jahr lang hat die Aktion Mensch das Projekt als Beitrag für „Kunst und Kultur für alle“ unterstützt. Nun setzt das Projektteam darauf, die Kinovorführungen langfristig durch die Einnahmen aus dem Eintritt sowie dem Getränke- und Popcornverkauf zu finanzieren. Teurer soll es für die Besucher deshalb nicht werden: Vier Euro kostet eine reguläre Kinokarte, drei Euro eine ermäßigte – um auch Menschen mit geringem Einkommen einen Kinobesuch zu ermöglichen. Denn Teilhabe ist für alle Menschen wichtig – deswegen findet das Angebot auch in der barrierefreien Festscheune von antonius statt und die meisten Filme können über das eigene Smartphone und die Greta-App auch mit Untertitel und Audiodeskription begleitet werden.
Die nächsten Filme jedenfalls stehen schon fest: „Eine Million Minuten“ läuft am 5. Oktober 2024, „Trauzeugen“ am 2. November 2024, „Wonka“ am 7. Dezember 2024, „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ am 4. Januar 2024 und „Einfach mal was Schönes“ am 1. Februar 2024. Dazu sind nicht nur Zuschauerinnen und Zuschauer, sondern auch weitere ehrenamtliche Helferinnen und Helfer herzlich willkommen.
So sieht es aus, wenn bei antonius über die nächsten Filme abgestimmt wird. (Fotos: antonius)