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Jugendliche drehen Doku über das Wohnen bei antonius

von Christine Reith

Wie wohnten Menschen mit Behinderungen damals, und wie leben sie heute? Darüber haben Schülerinnen und Schüler der Antonius von Padua Schule einen Dokumentarfilm gedreht. Mit dem Video nehmen sie am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten teil – und beweisen eine enorme Kompetenz. (>> zum Film auf Youtube)

„Mehr als ein Dach über dem Kopf. Wohnen hat Geschichte“: Unter diesem Titel steht in diesem Jahr der 28. Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Unter den mehr als 5.500 teilnehmenden Kindern und Jugendlichen bundesweit befinden sich auch fünf Schülerinnen und Schüler aus Fulda, die die Hauptstufe der Antonius von Padua Schule besuchen. Ihr Beitrag: Ein selbsterstellter Film mit dem Titel „Veränderungen des Wohnens von Menschen mit Behinderungen“.

Der 28-minütige Dokumentarfilm zeigt die Geschichte des Wohnens beim inklusiven Netzwerk antonius, das mittlerweile auf eine 120-jährige Geschichte zurückblickt. Episoden mit Fotos zu historischen Stationen wechseln sich mit Interviewsequenzen ab. Denn die Jugendlichen haben mit Menschen bei antonius gesprochen, die sich beim Thema Wohnen bestens auskennen – darunter Bewohner und Mitarbeitende sowie Detlef Fischer, Leiter des Wohnens, und Rainer Sippel, Vorstand der Bürgerstiftung antonius.

Filmprojekt fördert ganz neue Fähigkeiten zutage

Die Förderschullehrerin Maren Herbert, die das Projekt begleitet, erklärt: „Die Schülerinnen und Schüler haben sechs Monate lang in jeder freien Minute an dem Film gearbeitet, sie sind in dieser Zeit unvorstellbar über sich hinausgewachsen und mutiger geworden. Alle Ideen und die Umsetzung stammen von ihnen, und mit diesem tollen Ergebnis haben sie uns absolut überrascht. Auch ich als Lehrkraft habe viel gelernt, etwa mich mehr zurückzunehmen und Zutrauen in das Potenzial der Jugendlichen zu haben.“

Die fünf Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren haben sich das Thema ihres Filmes selbst gesucht. Sie haben recherchiert, Interviewpartner als Zeitzeugen gesucht, Fragen erarbeitet, Interviews koordiniert und geführt, sich mit Kameratechnik und Ton beschäftigt und aus dem dreistündigen Videomaterial passende Szenen ausgewählt. „Das war der einzige Punkt, an dem das Projekt zu scheitern drohte. Denn sich von Material zu trennen, war unglaublich schwer. Die Jugendlichen haben dann abgestimmt und so selbst den Konflikt gelöst“, erzählt Lehrerin Maren Herbert. Umso glücklicher waren die Schülerinnen und Schüler bei einer kleinen Feier Ende März 2023, den fertigen Film der Öffentlichkeit zu präsentieren. Auch die Premiere hatten die Jugendlichen eigenständig organisiert.

„Kind und Jugendliche mit geistiger Behinderung werden strukturell unterschätzt“, sagt Schulleiter Hanno Henkel. „Spannend wird es, wenn wir ihnen den Raum bieten, sich frei auszuprobieren – wie bei diesem Filmprojekt. Hier sind eine erstaunliche Leidenschaft, Leistungsbereitschaft, Qualität und Kompetenz zutage gekommen, die weit über das Erwartete hinausgingen. Das bestätigt für mich wieder einmal, dass in der Gesellschaft und auch in Fachkreisen falsche Bilder von Menschen mit Behinderungen deren Entwicklung hemmen.“

Erstaunt habe Hanno Henkel neben dem Durchhaltevermögen und der Neugierde vor allem die thematische Herangehensweise des Projektteams. Weit über die Alltagswelt der Jugendlichen hinaus haben diese sich mit Fragen beschäftigt, die in der aktuellen Diskussion um Inklusion zentral sind – etwa die Emanzipation und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen oder die Öffnung von Nachbarschaften.

Vom Großschlafsaal zum Einzel-Apartment

Während Menschen mit Behinderungen heute in kleinen Wohngemeinschaften oder eigenen Wohnungen in inklusiven Stadtteilen leben, waren früher separierte und zum Teil sogar umzäunte „Anstalts-Wohngruppen“ die Normalität. Bis in die 80er Jahre hinein gab es Schlafsäle – früher zum Teil mit 30 Betten, beschreibt es Stiftungsvorstand Rainer Sippel im Film. Die Privatsphäre spielte keine Rolle, gemeinsam ging es darum, den Alltag zu bewältigen. Der Tagesablauf war vorgegeben, die Geschlechter wurden streng getrennt, und wenig Personal kümmerte sich um viele Menschen. Mit dem Wandel der Gesellschaft hin zu mehr gleichberechtigter Inklusion hat sich das verändert: Heute haben die meisten Bewohnerinnen und Bewohner ein Einzelzimmer, sie bestimmen selbst über ihren Tag, bekommen bei Bedarf Assistenz und sind selbstverständlicher Teil von vielfältigen Nachbarschaften. Meilensteine auf diesem Weg thematisiert der Film – etwa die Eröffnung der ersten Außenwohngruppe Hessens, der WG Goretti, im Jahr 1963 oder der Umzug der Kinderwohngruppe Aloysius vom Hauptgelände in ein Wohngebiet am Aschenberg. Ein rundum gelungener Streifzug durch die Wohnhistorie bei antonius.

Und wie geht es jetzt weiter mit dem Geschichtswettbewerb? Im Juni werden die Gewinner des Wettbewerbs auf Landesebene bekanntgegeben, bis zum Herbst dann die besten Arbeiten in den einzelnen Bundesländern ausgezeichnet. Bei der Antonius von Padua Schule heißt es also Daumendrücken – wobei die jungen Filmemacher hier sowieso schon als absolute Gewinner zählen.

Der Film steht hier zur Ansicht bereit.

Auf dem Bild oben zu sehen sind: Samuel Altheide, Luca Weber, Luca Kiss und Julius Hofmann (von links nach rechts). Auf dem Foto fehlt Zoé-Celine Koch. (Foto: Roman Aha)

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