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Mit 45km/h durch die Rhön

Wenn Florian mit seinem 45 km/h-Auto durch Poppenhausen fährt, dann ist er vor allem eins: Stolz. Stolz darauf, dass er den Führerschein geschafft hat. Denn das ist für ihn eine enorme und ganz besondere Leistung. Florians Erfolgsgeschichte ist Teil unserer  #nichtnormal-Kampagne, in der wir anlässlich unseres 115. Geburtstags von Menschen und ihren Stärken erzählen. 

Sommerzeit ist Urlaubszeit. Und im Urlaub ist Entspannung angesagt. Arbeit, Stress, Termindruck – das alles sollte ganz weit weggeschoben werden. Egal, ob man den Urlaub in Deutschland oder im Ausland, am Meer oder in den Bergen verbringt: Entschleunigung ist das Zauberwort.

Entschleunigung hat Florian aus Poppenhausen hingegen nicht nur im Urlaub, sondern eigentlich regelmäßig, wenn er mit seinem kleinen roten Auto durch die Rhön düst. Denn dieses hat eine Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h. So wird jede längere Fahrt zur gemütlichen Sightseeingtour – was Florian aber überhaupt nicht stört. Ganz im Gegenteil: Er ist mächtig stolz auf seinen kleinen Flitzer und vor allem darauf, dass er den Führerschein dafür geschafft hat.

Denn der Weg dorthin war alles andere als leicht: Der 29-Jährige hat eine Entwicklungsverzögerung und eine Lese- und Rechtschreibschwäche. Das Lernen fällt ihm schwer, er hat große Mühe, das Gelesene zu erfassen, manchmal braucht er fünf bis sechs Anläufe, bis er es wirklich verstanden hat. Die größte Hürde auf seinem Weg zum Führerschein war also die theoretische Prüfung, das Lernen dafür eine echte Herausforderung. Und das nicht nur für ihn, sondern auch für seine Mitmenschen. Denn sowohl Freunde als auch Familie haben ihn mit allen Kräften unterstützt, mussten ihn immer wieder zum Weitermachen motivieren, haben mit ihm gelernt und mit ihm gezittert. Bis ganz zum Schluss, denn der erste Versuch ging daneben. „Aber nur ganz knapp“, sagt er. „Das zweite Mal hatte ich dann ganze Null Fehlerpunkte, da war ich schon echt stolz drauf.“

Mit starkem Willen

Doch wie schafft man es, die ganzen Fragebögen mit insgesamt fast 1.000 Fragen zu lernen, wenn gerade das einem doch so schwer fällt? „Ja also ich glaube, ich habe das geschafft, weil ich es unbedingt wollte“, antwortet Florian. Sein starker Wille war sein Antrieb, dieser hat ihm zu dieser Leistung verholfen. Genauso wie sein Wunsch nach einem weitgehend selbstbestimmten Leben und sein Ziel, selbst Entscheidungen treffen zu können.

Dafür hat der gebürtige Fuldaer schon immer gekämpft und tut es noch heute. Als er vor elf Jahren zu antonius kam, hatte er die Möglichkeit, in der Startbahn seine Stärken zu erkennen und zu fördern. Recht schnell war für ihn klar: Die Landwirtschaft ist sein Ding. So arbeitete er zunächst auf dem Hof von antonius in Haimbach. Über antonius lernte er 2015 auch Stephanie Müller-Gerst kennen, die die Initiative Leben und Arbeiten in Poppenhausen leitet, zu der auch das Apartmenthaus im Ortskern von Poppenhausen gehört. Durch den Umbau der ehemaligen Schule am Von-Steinrück-Platz sind insgesamt sieben Apartments für Menschen mit Behinderungen entstanden. Als dann ein Apartment frei wurde, zog Florian ein und fühlt sich hier bis heute äußerst wohl und konnte sogar einen Arbeitsplatz bei einem Partnerbetrieb von antonius, dem Biohof Gensler ergattern. Hier hilft er bei allem, was anfällt, unterstützt in der Backstube, schaut im Tipi-Dorf nach dem Rechten und fährt auch mal den Trecker; den Traktorführerschein hat er nämlich schon vor einigen Jahren gemacht.

Leidenschaftlicher Go-Kart-Fahrer

Dass Autofahren aber noch viel mehr Spaß macht, merkte er auf einer Ferienfreizeit in Dänemark – beim Go-Kart Fahren. Florian fuhr, als hätte er nie etwas anderes gemacht, nahm rasant aber sicher die Kurven und hängte seine Konkurrenten schon nach kurzer Zeit ab. „Da haben wir alle gestaunt und gemerkt: Der Florian kann das“, erinnert sich Stephanie Müller-Gerst. „Den Wunsch hatte er ja schon länger, jetzt wussten wir, dass es möglich ist.“

Daraufhin hat sich der 29-Jährige im März 2017 in der Fahrschule in Poppenhausen angemeldet – und musste so einige Anträge ausfüllen, bei denen er auch seine Beeinträchtigung nicht verschweigen durfte. Doch dadurch, dass bereits für den Traktorführerschein unter anderem ein ärztliches Gutachten eingeholt wurde, hielt sich der Verwaltungsaufwand dieses Mal in Grenzen. Nur vor der Theorieprüfung war Florian nervös – sie stellte eine große Aufgabe für ihn dar. Gemeistert hat er sie mit Kopfhörern, die Fragen wurden ihm vorgelesen, damit er sie besser erfassen konnte. Die Fahrstunden hingegen waren für ihn fast ein Klacks. Nun ist er seit einem Jahr stolzer Besitzer des Rollerführerscheins, welchen er übrigens komplett alleine bezahlt hat. Nur beim Autokauf haben seine Eltern ihn finanziell unterstützt.

Ein wichtiger Schritt in Richtung Eigenständigkeit

Florian ist froh darüber, dass er dieses große Projekt geschafft, dass er trotz Lernschwäche solch eine Aufgabe gemeistert hat. Jetzt fährt er mit seinem Auto täglich zur Arbeit, transportiert damit seine Einkäufe und Getränke, besucht Freunde in Fulda und Umgebung, unternimmt Ausflüge oder fährt auch mal Kumpels zu Terminen. Und wenn er unterwegs ist, dann spürt man förmlich seine Freude über die gewonnene Unabhängigkeit, über die Freiheit, selbst entscheiden zu können, wohin es gehen soll: Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Eigenständigkeit, in Richtung selbstbestimmtes Leben. Sein großes Ziel für die Zukunft: vielleicht doch einmal einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bekommen. Dafür ist der Führerschein schon mal eine gute Voraussetzung.

#nichtnormal – Die Kampagne

Florian ist einer der Protagonisten, deren Geschichten wir erzählen wollen. Denn ihre Geschichten zeigen, dass jeder Mensch besonders ist, dass jeder Stärken hat, die es gilt, zu entdecken und zu fördern. Wir alle haben etwas, das wir besonders gut können, etwas, das uns ausmacht. Darüber wollen wir in unserer Kampagne #nichtnormal berichten. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir alle verschieden sind. Dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigung Dinge meistern können, an die nie jemand zuvor geglaubt hat.

Anlass ist ein ganz besonderes Jubiläum, denn antonius wird dieses Jahr 115 Jahre. Die Gründerin Maria Rang war schon damals davon überzeugt, dass jeder Mensch gleich viel wert ist, dass er lernfähig ist und Stärken und Talente besitzt. Das wollen wir mit der Kampagne nochmals verdeutlichen. Menschen von antonius erzählen uns daher ihre ausführliche Geschichte. Darüber hinaus haben uns auch viele andere gesagt, warum sie #nichtnormal sind. Alle Stories und Statements gibt es auf dem Blog nichtnormal.me 

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