Einmal Sandwegkind, immer Sandwegkind
Wer im Sandweg aufwächst, hat das große Los gezogen – und gehört ein Leben lang zu einer besonderen Gemeinschaft
Petersberg – Es duftet nach Bratwürstchen, der Musikverein spielt, Jung und Alt begrüßen sich herzlich. Beim Besuch im Sandweg in Petersberg-Almendorf wird sofort spürbar: Diese Nachbarschaft ist vertraut, offen und lebendig. Die ruhige Dorfstraße am Feldrand mit Blick in die Rhön besteht aus zwölf Häusern aus den 1970er Jahren. Auf dem Boden prangen die mit bunter Kreide geschriebenen Wörter „Toleranz“, „Gemeinschaft“ und „Wohlgefühl“ sowie ein „Herzlich willkommen“ in drei Sprachen. Denn mittlerweile wohnen hier auch zwei Vietnamesinnen und eine Familie aus der Ukraine.
Wie so oft hat das „Sandwegfürstenpaar“ Eleonore und Willi Heil seine Einfahrt und den weitläufigen Garten für alle geöffnet. Dass es sich um Privatgrund handelt, scheint hier nebensächlich. „Im Sandweg sind die Gärten für alle da“, erklärt Anwohner Matthias Balzer. „Zäune gibt es kaum, die Kinder spielen auf den Grundstücken, und jeder ist willkommen.“ Vor dem Haus steht eine alte Telefonzelle, heute ein öffentlicher Bücherschrank. Neben dem straßeneigenen Infokasten weht die „Sandwegfahne“ als Symbol für Verbundenheit und Harmonie.
Um den fast 50 Jahre währenden Gemeinschaftsgeist greifbar zu machen, haben die Bewohnerinnen und Bewohner Fotocollagen vorbereitet: gemeinsame Radtouren, das Sandwegfest, das inzwischen zum 46. Mal gefeiert wurde, ein selbstgebautes Iglu, in dem 16 Abende in Folge Feiern stattfanden. Ein Gruppenbild zeigt mehrere Familien auf einem Campingplatz im Italien, denn sogar Urlaube verbringt man zusammen. Auf einem anderen Bild sind Frauen, Männer und Kinder in Faschingskostümen zu sehen – alle selbstgenäht von „Sandwegoma“ Maria Vlacil. Die 87-Jährige sagt: „Der Sandweg ist das größte Glück meines Lebens, hier habe ich meine besten Jahre verbracht. Im Wohngebiet sind über 20 Kinder aufgewachsen und alle hatten eine wunderbare Kindheit.“ Sie selbst steuerte vieles bei: Vom Nähen über Babysitten bis zu ihrem legendären „Gückels-Essen“, bei dem sie viele Fastnachtssonntage die Kinder der Straße mit Hähnchen und Pommes verwöhnte.
„Der Sandweg ist der Mittelpunkt von uns allen“, bestätigt Markus Trabert und meint damit auch seine Kinder und Enkelkinder, denn der Fokus lag und liegt schon immer auf den Kleinsten. Seine Töchter Anna-Lena Trabert und Jana Schmidt ergänzen: „Als Kinder waren wir extrem frei und behütet zugleich. Jeder achtet auf jeden. Und selbst wer wegzieht, bleibt für immer ein Teil davon. Einmal Sandwegkind, immer Sandwegkind“, sagen sie und halten die „Sandwegkinder 2.0“ – die nächste Generation – auf dem Schoß.
Smartphones zur Vollansicht drehen!
Woher dieser besondere Zusammenhalt kommt? „Früher hatten wir alle ähnliche Herausforderungen: Hausbau, Familiengründung, Beruf“, erinnert sich Ortsvorsteher Matthias Balzer. „Doch statt nur an sich selbst zu denken, hat man sich gegenseitig geholfen.“ Die „Sandwegschnecken“, wie die Mütter liebevoll genannt wurden, kochten mittags mitunter gleich für mehrere Kinder und betreuten sie gemeinsam am Nachmittag. „Gemeinschaft lässt sich nicht herbeireden“, resümiert Matthias Balzer. „Sie entsteht durch das gemeinsame Tun. Und im Sandweg steht niemand allein da – nicht bei Krankheit, nicht bei einem Hausbrand, nicht bei einem Wasserrohrbruch. Das Sprichwort ‚Der Nachbar ist wichtiger als die eigene Wohnung‘ ist unser Motto geworden.“
Und was würde man mit dem Preisgeld anfangen? Anwohnerin Daniela Scheel lacht: „Da gäbe es viele Ideen – etwas Langfristiges oder ein großes Fest. Aber eigentlich haben wir längst gewonnen: Der Nachbarschaftspreis hat uns noch einmal bewusst gemacht, wie besonders und wertvoll unsere Gemeinschaft ist.“