Hier weht ein guter Geist
Die Nachbarschaft in der Liegnitzer Straße am Petersberg funktioniert so, wie man sich Dorfleben von früher vorstellt
Fulda - „Nachbarn sind Leute, die erstmal zufällig nebeneinander wohnen. Bei uns sind daraus Menschen geworden, die tief miteinander verbunden sind und Verantwortung füreinander tragen“, beschreibt Julia Überreiter stellvertretend für ihre Nachbarschaft das Miteinander in der Liegnitzer Straße am Petersberg.
Die ruhige Sackgasse mit zwei Wendehammern ist geprägt von liebevoll gepflegten Einfamilienhäusern aus den 60er/70er Jahren. Das Schöne: Hier leben noch viele ältere und sogar ganz alte Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch einige junge Familien sind nachgezogen. Am Tag unseres Besuches war das jüngste Straßenmitglied vier Tage, die älteste Bewohnerin 99 Jahre alt. Und genau diese natürliche Altersdurchmischung macht die Nachbarschaft so lebendig.
Lässt man an einem schönen Samstagvormittag den Blick über „die Liegnitzer“ schweifen, dann sieht man: Kinder, die gemeinsam auf der Straße spielen und von Garten zu Garten stromern. Männer und Frauen, die einander bei der Gartenpflege helfen. Jüngere, die Älteren die Getränkekisten ins Haus tragen. Jemand, der den Grünschnitt gleich für mehrere Häuser wegfährt.
Kommt man mit den Anwohnerinnen und Anwohnern ist Gespräch, erfährt man reizende Anekdoten: Eine Familie etwa lädt die Vorbesitzer ihres Hauses einmal im Jahr gemeinsam mit den Senior-Nachbarn von nebenan zu einem „Oldies-Essen“ ein, damit diese miteinander in Kontakt bleiben können. Ein anderer Bewohner mit einer schweren Erkrankung kann seine Frau hin und wieder ganz beruhigt zu einem Freundinnen-Wochenende verabschieden, weil dann zwei Nachbarinnen – beides Pflegefachkräfte – seine Versorgung übernehmen. Mehrmals hat er sich ein betreutes Wohnen angesehen, sich aber jedes Mal umentschieden, eben weil die Nachbarinnen das möglich machen. Und man hält auch in schweren Momenten zusammen, etwa als kürzlich ein 88-jähriger Nachbar verstorben ist. „Auch in traurigen Zeiten ist Verlass auf die Menschen hier. Sie bemerken, wann es wichtig ist, für jemanden dazusein“, sagt Dirk Überreiter.
Die Kinder der Liegnitzer Straße – von denen viele miteinander befreundet sind oder zusammen zur Schule gehen – wachsen in einer wohlbehüteten Umgebung auf, wo jeder nach dem anderen schaut und es in jedem Alter Spielkameraden gibt. Selbst ihre Katzen und Kaninchen müssen während des Urlaubs nicht in die Tierpension, sondern erhalten Futter und Zuneigung von den anderen Kindern aus der Straße.
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Natürlich wird auch ordentlich zusammen gefeiert und eine schöne Zeit verbracht: Einige Frauen verbringen einmal im Jahr ein Wochenende zusammen, es gibt im Sommer ein großes Straßenfest inklusive Abholservice für ehemalige Anwohner, und an den Adventssonntagen singt man zusammen Weihnachtslieder bei Punsch und Plätzchen im Wendehammer – ein Corona-Überbleibsel. An jedem 24. Dezember trifft man sich vormittags auf ein Stück Pizza in einer Garage.
Die Nachbarschaft der Liegnitzer Straße funktioniert so, wie man sich das Dorfleben von früher vorstellt – nur zeitgemäß: Jung und Alt sind füreinander da, alle gehen rücksichtsvoll miteinander um und man nimmt sich auch mit Macken und Kanten. Irgendwie weht hier ein guter Geist, der mal als sanftes Lüftchen, mal als Sturm spürbar ist.